Rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen sich am 18. und 19. Januar zum 16. Schweizerischen Stromkongress im Kursaal in Bern. Das Branchentreffen stand aufgrund der Ereignisse und Entwicklungen im vergangenen Jahr so stark wie nie zuvor im Zeichen einer sicheren Stromversorgung. Erstmals sprach bei dieser Gelegenheit auch der neue UVEK-Vorsteher Albert Rösti zu «seiner» Branche.

«Die Energiekrise meistern wir nur gemeinsam», eröffnete Energieminister Albert Rösti seine Grussbotschaft an die Branche. Er dankte den Anwesenden ausserdem dafür, dass sie sich der hehren Aufgabe annähmen, die Versorgungssicherheit sicherzustellen. Der Neo-Bundesrat machte klar, dass er die eingeschlagenen Pfade zumeist weiterverfolgen wolle, denn «wir werden mehr Energie brauchen, und zwar vor allem Strom. Und dieser Strom sollte in der Schweiz produziert werden». Eine Stromimportstrategie sei keine langfristige und nachhaltige Strategie für die Schweiz, weshalb der massive Zubau von Produktionsanlagen für Energie aus erneuerbaren Quellen vorangetrieben werden müsse. «Wir brauchen diese Zubauten. Und wir haben mit der Beschleunigungsvorlage ein gutes Mittel, um allfällige Hindernisse aus dem Weg zu räumen, natürlich innerhalb des rechtlichen und politischen Rahmens.» Es müsse allen klar werden, dass solche Ausbauprojekte von nationalem Interesse seien und dass der Landschaftsschutz dabei unter Umständen hintanstehen müsse. Der Bedarf nach Strom nehme unweigerlich zu, wenn die Energieproduktion dekarbonisiert werde. Und diese Dekarbonisierung sei nötig, um den Klimawandel aufzuhalten und um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. «Auch wenn es für diesen Winter gut aussieht, müssen wir kurzfristig alles tun, um genügend Strom produzieren zu können, denn der nächste Winter kommt bestimmt.» Langfristig gelte es hingegen, Klarheit zu schaffen, wo der Strombedarf effektiv anfalle und wo und wie dieser Strom hergestellt werden solle. «Und in dieser Frage bin ich durchaus Technologie-offen.»

 

Jetzt vorwärtsmachen

In seiner Begrüssungsrede hatte Michael Wider, Präsident des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE, den Anwesenden zuvor eine Fülle von Abhängigkeiten – wie beispielsweise das Verhältnis der Schweizerischen zur europäischen Stromwirtschaft, die Interdependenzen zwischen Markt und Regulierung oder die Bedeutung des Heute für die Zukunft – aufgezeigt, welche die Schweiz mehr oder weniger stark beeinflussen und reduzieren kann. Allesamt seien diese Abhängigkeiten zwar altbekannt, räumte Michael Wider ein, «ihre Effekte haben sich im letzten Jahr aber so deutlich gezeigt wie nie zuvor. Wir haben – als Branche, Gesellschaft, Politik – akuten Handlungsbedarf in allen diesen Dimensionen». Wichtig sei nun jedoch, dass alle Beteiligten das Tempo verschärften: «Die Zeit rennt uns davon: Gelingt es uns nicht jetzt, die richtigen Prioritäten zu setzen, schaffen wir nicht nur keine Dekarbonisierung, sondern gefährden die Versorgungssicherheit der Schweiz.» Der Präsident des VSE rief die Anwesenden auf, darob nicht den Mut zu verlieren: «Das soll uns nicht entmutigen, sondern ermutigen, unsere Zukunft jetzt zu gestalten.»

Ulrich Schmid, Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen, ordnete anschliessend den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ein. Er zeigte dabei ebenso die Beweggründe des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf wie die Gründe, warum er damit keinen Erfolg haben werde. Für die Zuhörerinnen und Zuhörer besonders spannend waren Ulrich Schmids Ausführungen zu den Auswirkungen des Konflikts auf die Energieversorgung im Rest von Europa und in der Schweiz. So haben sich die Importe Europas von fossilen Energieträgern (Gas, Erdöl, Kohle) aus Russland massiv reduziert. Kristian Ruby, Generalsekretär von Eurelectric, dem Branchenverband der europäischen Elektrizitätswirtschaft, erläuterte, wie Europa wieder auf den vor der Energiekrise und dem Krieg in der Ukraine eingeschlagenen «grünen Pfad» des Green Deal einlenken kann. «Der Green Deal war und ist der Ausweg aus dieser Situation.» Es werde zwar eine holprige Fahrt, «aber es ist alternativlos – und wir können es.» Vielleicht werde 2023 dereinst sogar als der Start in die Zukunft betrachtet. Kurt Rohrbach, Delegierter der Wirtschaftlichen Landesversorgung ad interim, erläuterte den Anwesenden schliesslich, wie sich die Schweiz auf eine Mangellage vorbereitet. Und er mahnte, nun, da das Risiko einer solchen Strommangellage kleiner werde, nicht ins alte Fahrwasser zurückzukehren, denn «bloss, weil es ein Jahr lang nicht gebrannt hat, lösen Sie die Feuerwehr ja auch nicht auf».

 

Von Rettungsschirmen und Dominoeffekten

Abschliessend diskutieren Roger Baillod, Johannes Teyssen und Thomas Sieber, die Verwaltungsratspräsidenten von BKW, Alpiq und Axpo, mit Moderator Urs Gredig über die momentane Situation in der Branche. Johannes Teyssen legte den Finger dabei auf viele offene Wunden. So kritisierte er beispielsweise die Interpretation von rezessionsbedingtem Minderverbrauch als «Sparerfolg» und betonte, dass man beim Umbau des Energiesystems bereits viel weiter sein könnte, ja müsste. Auf die Frage nach der Verantwortung für die Versorgungssicherheit waren sich die drei Verwaltungsratspräsidenten einig, dass der Branche ein grosser Anteil daran zukomme. Bezüglich des Rettungsschirms, den das Parlament im vergangenen Jahr beschlossen hatte, stimmten Johannes Teyssen und Thomas Sieber überein, dass das der richtige Schritt gewesen sei. Beide waren aber auch froh darüber, dass sie die Staatsunterstützung letztlich nicht beziehen mussten. Alle drei verteidigten aber die Markttätigkeit Ihrer Unternehmen grundsätzlich. Roger Baillod – die BKW lehnte den Rettungsschirm stets ab – ärgerte sich, dass sein Unternehmen nun auch für diesen Rettungsschirm aufkommen muss, worauf Johannes Teyssen erwiderte, dass es zu einem Dominoeffekt gekommen wäre, der auch die BKW betroffen hätte, wenn Axpo oder Alpiq effektiv nicht mehr genügend Liquidität zur Deckung des Handels am Strommarkt hätten aufbringen können. Alle drei waren sich schliesslich einig, dass der Umbau des Energiesystems nur gemeinsam zu bewältigen sei. Thomas Sieber: «Das hat Bundesrat Albert Rösti bereits einleitend sehr treffend bemerkt.»

 

Gleiche Buchstaben, andere Aussage

Den zweiten Kongresstag eröffnete traditionellerweise der Präsident der Eidgenössischen Elektrizitätskommission ElCom. Werner Luginbühl betonte, dass die ElCom in der Vorwoche keineswegs eine «Entwarnung» in der Frage nach der Energieverfügbarkeit kommuniziert habe, sondern lediglich von einer «Entspannung» gesprochen habe. «Bei beiden Begriffen stehen am Anfang und am Ende viele gleiche Buchstaben. Was dazwischen steht unterscheidet sich aber deutlich.» Der Winter dauere – entspannter als auch schon – an, die Schweiz sei definitiv noch nicht über den Berg. Die Preise seien von den Rekordhöhen, welche sie im letzten Herbst erreicht hatten, zwar wieder heruntergekommen, doch die Unsicherheiten blieben hoch. «Vor allem im Hinblick auf den nächsten Winter bestehen immer noch sehr viele Unwägbarkeiten.» Thomas Marti, Leiter Netze und Berufsbildung beim VSE, erläuterte den Anwesenden anschliessend die Erkenntnisse aus der VSE Studie «Energiezukunft 2050». Diese untersucht mögliche Optionen zum Umbau des schweizerischen Energiesystems und deren Auswirkungen, insbesondere in Bezug auf die Erfüllung der Energie- und Klimaziele der Schweiz. Diese Branchenstudie – rund 50 Expertinnen und Experten aus der Energiebranche arbeiteten während anderthalb Jahren daran – wurde von der Empa als wissenschaftlicher Partnerin begleitet. Im Sommer soll die Studie um weitere Resultate zum Thema Netz ergänzt werden.

VSE Präsident Michael Wider, Nationalrat und GLP-Präsident Jürg Grossen sowie Jan Flückiger, Generalsekretär der Konferenz der Kantonalen Energiedirektoren (EnDK), diskutierten anschliessend im Rahmen eines Podiumsgesprächs, ob «wir die Kurve kriegen». Unbestritten war für alle drei, dass die Schweiz auch in Zukunft Strom aus dem Ausland importieren und exportieren müsse. «Diesen Austausch müssen wir unbedingt beibehalten», betonte Jürg Grossen. «Denn er erlaubt uns, unsere Kraftwerke mit Exporten zu vergolden. Aber wir müssen unsere Verhandlungsposition mit der EU für Stromimporte stärken. Und das geht einfacher aus einer Position der Stärke, weshalb wir die heimischen Erneuerbaren unbedingt massiv ausbauen müssen.» Dass im vergangenen Jahr in der Schweiz 1 TWh PV-Produktion zugebaut werden konnte, verkündete der Präsident von swissolar denn auch sichtlich erfreut. Michael Wider erklärte, dass die Produktion der Schweizer Grosskraftwerke nicht auf die Grundversorgung sondern systemisch ausgelegt sei. Im Inselbetrieb könne die Schweiz ihre Stromversorgung nicht sicherstellen, zumal die Nachbarländer der Schweiz ihre Infrastruktur derart ausbauten, um den Strom künftig um die Schweiz herum nach Süden zu transportieren. «Wir haben während der Monate Februar bis April Schwierigkeiten, weil unsere Stauseen dann leer sind. Diese Lücke müssen wir mit Zubau von Produktion aus erneuerbaren Quellen füllen.» Jan Flückiger rief in diesem Zusammenhang in Erinnerung, dass zwei Drittel der Windkraft in den Wintermonaten geerntet werden könne und dass diese Energieform daher eine gute Ergänzung sei.

 

Innovation in der Praxis

Peter Richner, stellvertretender Direktor der Empa, machte den Auftakt zu einem Praxisblock, bei dem das Thema Innovation im Zentrum stand. Der Umbau des Energiesystems könne funktionieren, er sei aber anspruchsvoll. «Um ein resilientes Energiesystem zu gestalten, gibt es nicht den einen Weg, sondern ganz viele verschiedene Ansätze.» Die angestrebte Elektrifizierung sei aber der richtige Weg, denn Elektrizität sei nicht nur um ein Vielfaches effizienter als fossile Energien, mit der Digitalisierung stehe ausserdem ein veritabler Effizienz-Booster zur Verfügung. André Bally (Geschäftsleitungsmitglied Valion AG), Gerhard Salge (CTO, Hitachi Energy) sowie Tanja Vainio (Geschäftsleiterin Schneider Electric Schweiz) gaben den Anwesenden anschliessend einen Einblick in die vielfältigen Tätigkeiten im Bereich der Energiewende in ihren arrivierten Unternehmen. Christoph Beuttler (Chief Climate Policy Officer Climeworks), Sébastien Cajot (CEO Urbio) und Julian Münzel (CEO Regli Energy Systems) vertraten mit ihren Start-ups anschliessend quasi die «jungen Wilden» und legten den Fokus speziell auf ihren inneren Antrieb, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Gemeinsam mit dem Freiburger Grünen-Nationalrat und Unternehmer Gerhard Andrey diskutierten Richner und die sechs Referenten über das Thema Innovation.

 

Animierte Debatte vor dem Blick in die Zukunft

Bevor Zukunftsforscher Matthias Horx abschliessend auf das schaute, was uns künftig (wohl) erwartet, duellierten sich auf der Bühne Stella Jegher (Mitglied der Geschäftsleitung von Pro Natura), Jacques Mauron (Generaldirektor von Groupe E), Isabelle Stadelmann-Steffen (Professorin für vergleichende Politik an der Universität Bern) sowie der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen und Mitte-Nationalrätin Priska Wismer-Felder aus dem Kanton Luzern durchaus lustvoll zum Thema des Dilemmas der Akzeptanz bei Ausbauprojekten für erneuerbaren Energien. Weil diese Projekte in der Regel einen Einfluss auf die Landschaft haben, plädierte Stella Jegher dafür, die Krise des Artensterbens als effektive Bedrohung anzuerkennen. «Die Bevölkerung steht hinter dem Landschaftsschutz. Punkto Akzeptanz muss man den Fokus möglicherweise erweitern und schauen, wo und wie wir weniger Energie verbrauchen können.» Isabelle Stadelmann-Steffen ging mit ihr insofern einig, dass Infrastrukturprojekte, die der Bevölkerung breit abgestützt präsentiert werden, von dieser besser angenommen werden: «Daher finde ich, dass das Parlament mit der Solaroffensive einen verantwortungsvollen demokratischen Entscheid gefällt hat.» Christian Wasserfallen betonte, dass er froh darüber sei, dass die Versorgungssicherheit nun endlich auf dem Tisch liege und dass das Parlament mit seinem Beschluss pro alpine Solarproduktion dieser Herausforderung Rechnung getragen habe, während Ratskollegin Priska Wismer-Felder klar machte, dass Klimawandel und Versorgungssicherheit eng miteinander verknüpft seien und dass man zwar die technischen Lösungen habe, dass es aber an der Umsetzung mangle. «Wir laufen dem Marschplan hinterher.» Jacques Mauron sah die Ursache dafür massgeblich in den unglaublich langwierigen Bewilligungs- und Umsetzungsdauern: «Wir müssen heute für Windkraftprojekte mit Realisierungsdauern von rund 20 Jahren rechnen. So läuft uns schlicht die Zeit davon, und wir werden nicht bereit sein, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wenn dereinst die Kernkraftwerke abgeschaltet werden müssen.»