Am 17. Schweizerischen Stromkongress, dem alljährlichen Branchentreffen, fanden sich am 17. und 18. Januar 2024 wiederum rund 450 Vertreterinnen und Vertreter aus Branche, Wirtschaft, Politik und Forschung im Berner Kursaal ein. Energieminister Albert Rösti appellierte an die Branche, das Referendum gegen den Mantelerlass vehement zu bekämpfen.

Zum Auftakt des Stromkongresses gab es eine Dernière: Letztmals hiess VSE Präsident Michael Wider die rund 450 Anwesenden im Berner Kursaal willkommen. Nach sieben Jahren wird er sein Amt an der Generalversammlung vom Mai 2024 zur Verfügung stellen. In Bern zitierte er zu Beginn seiner Begrüssungsrede sich selbst: «Wohl selten hat uns ein Jahr in einer derartigen Dichte aufgezeigt, in welch unzähligen Abhängigkeiten und Interdependenzen wir im Bereich der Energie verstrickt sind, die über unseren volkswirtschaftlichen Wohlstand mitentscheiden.» So habe er ein Jahr zuvor den Stromkongress eröffnet, «unwissend, dass dieser Satz zwölf Monate später noch zutreffender sein würde». Die zahlreichen globalen Krisen liessen die Folgen dieser Abhängigkeiten heute noch akzentuierter erscheinen. 

Michael Wider betonte, dass sich Lösungswege in die Energiezukunft nur im Dreieck «sauber, sicher und bezahlbar» finden liessen. Richtungswechsel und Lösungen müssten den drei Maximen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Klima in jedem Fall gerecht werden. Und diese stünden in einem fragilen Gleichgewicht. «Deshalb brauchen wir als Branche Zuversicht und Mut und wir haben gute Gründe, zuversichtlich und mutig zu sein. Wir haben das Glück und die Chance, in einem riesigen Wachstumsmarkt tätig zu sein. Aus einer Betrachtung der Gesamtwirtschaft ist das doch momentan die Ausnahme. Es eröffnet sich uns eine Landschaft voller Opportunitäten. Diese sollten wir nutzen und die Zukunft gestalten.» 
 

«Dafür brauche ich Sie» 

Nach seinem Debut vor Jahresfrist machte Bundesrat Albert Rösti dem Stromkongress auch in diesem Jahr seine Aufwartung. In seinem Keynote-Referat rief er die Branche dazu auf, das Referendum gegen den Mantelerlass, das gleichentags bei der Bundeskanzlei eingereicht wurde – vehement zu bekämpfen. «Es geht hier um nicht weniger als um eine sichere Stromversorgung der Schweiz. Dafür brauche ich Sie, sind wir doch eine grosse Schicksalsgemeinschaft.» Es werde zentral sein, die Schweizer Bevölkerung zu überzeugen, dass diese Vorlage für eine sichere Stromversorgung ein ausgewogener Vorschlag sei. «Die Akzeptanz für die Vorlage war nicht nur im Parlament und in allen Parteien, sondern auch bei Umweltorganisationen wie Pro Natura Schweiz und WWF Schweiz.» Der Energieminister betonte die Wichtigkeit des Ausbaus der Stromproduktion in der Schweiz: «Wir brauchen mehr Strom. Das geht nur mit einem massiven Ausbau. Und diese Vorlage legt die Basis dazu.» 
 

Allianz für eine sichere Stromversorgung 

Gleich im Anschluss an die Rede von Albert Rösti präsentierte sich die Allianz für eine sichere Stromversorgung. Deren Ziel: die Bekämpfung des Referendums gegen den Mantelerlass respektive das Bundesgesetz für eine sichere Energieversorgung mit erneuerbaren Energien. Der VSE und aeesuisse hatten die Allianz aus Branche, Wirtschaft und Politik ins Leben gerufen. Neben den weiteren Gründungsmitgliedern Swissolar, Suissetec, Alpiq, Axpo und BKW unterstützen auch auto-schweiz, economiesuisse, EIT.swiss, Swiss eMobility, swisscleantech oder Swisspower die Allianz. Auch Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus allen Parteien haben sich der Allianz angeschlossen. 
 

«Der Beziehungsstatus war schon komplizierter» 

Aus Strassburg zugeschaltet sprach Lukas Mandl zum Publikum. Der Österreicher amtet als Abgeordneter im EU-Parlament, ist zuständig für die Beziehungen der Europäischen Union zur Schweiz und hat in dieser Funktion einen Bericht über diese Beziehung verfasst. Er betonte, dass die EU nach wie vor an einer institutionalisierten Zusammenarbeit mit der Schweiz interessiert sei, denn «die EU und die Schweiz haben viel mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes». Dass der Bundesrat im Dezember 2023 den Entwurf eines Verhandlungsmandats verabschiedet hat, wertet er ausserdem als sehr positives Zeichen. Grundsätzlich äusserte sich Lukas Mandl in durchaus versöhnlicher und zuversichtlicher Manier zur gemeinsamen Beziehung. «Der Beziehungsstatus zwischen der EU und der Schweiz war schon komplizierter.» 

Tilman Schwencke, Leiter Strategie und Politik beim BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft), nahm die Anwesenden mit auf einen Ritt durch die Umbaumassnahmen der Energieversorgung in Deutschland. Er zeigte dabei auf, wie sein Land nach dem Ausstieg aus der Kernkraft auch aus der fossilen Kohleenergie aussteigen will. Die aktuelle Bundesregierung habe in den letzten beiden Jahren zwar viele Massnahmen umgesetzt. Neben den technologischen Herausforderungen müsse Deutschland aber auch massive Akzeptanz-Schwierigkeiten in der Bevölkerung überwinden. Hürden, die auch in der Schweiz alles andere als unbekannt sind. 
 

Weg vom «Leiterlispiel» 

Roberto Schmidt, Präsident der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (ENDK), beleuchtete die Rolle der Kantone für die Energiewende. Der grösste Hebel biete sich bei den Gebäuden, vor allem beim Heizen und bei der Gebäudeisolation. Gleichzeitig führe kein Weg an einem Ausbau der erneuerbaren Produktion vorbei. Mit dem Mantelerlass habe das Parlament im vergangenen Herbst eine gute Basis dazu geschaffen. Darüber hinaus müssen auch die Verfahren beschleunigt werden, denn «heute gleicht die Umsetzung eines Ausbauprojekts einem Leiterlispiel, bei dem man immer wieder weit zurückgeworfen wird». Grundsätzlich unterstützen die Kantone die Bestrebungen des Bundes. Sie wünschten sich aber eine stärkere Gewichtung des Themas Wasserstoff. 
 

«Wir können es uns nicht leisten, nicht zuzubauen» 

Die CEO der drei grössten Energieproduzenten in der Schweiz – Antje Kanngiesser (Alpiq), Christoph Brand (Axpo) und Robert Itschner (BKW) – stellten sich in einer Diskussionsrunde den Fragen von Moderatorin Barbara Lüthi. Auf allfällige Learnings aus dem «Krisenwinter 2022/23» angesprochen, gab Antje Kanngiesser zu bedenken, dass das momentane Verhalten einer Wette auf das Wetter gleichkomme: «Die Politik hat erkannt, worum es geht. Wir alle sind aber vom Reden noch nicht ins Tun gekommen. Und dabei können wir es uns nicht leisten, nicht auszubauen.» Dem stimmte Christoph Brand vorbehaltlos. Der Axpo-CEO verwies auf die nach wie vor ungelöste Akzeptanz- und Verweigerungsproblematik. Robert Itschner stellte auch eine zunehmend dogmatisch geführte Diskussion fest: «Das behindert den notwendigen Ausbau für einen gesunden Produktionsmix.» 

Als Barbara Lüthi von ihren Gästen wissen wollte, was ein Plan B wäre, falls der Worst Case ohne Stromabkommen und mit weiterhin blockiertem Ausbau einträte, verzogen Antje Kanngiesser und Christoph Brand ihre Gesichter. «Es blieben wohl vor allem Lösungen wie das Kraftwerk Birr. Und das ist ja nicht wirklich eine Lösung», entgegnete Christoph Brand. Antje Kanngiesser zog Parallelen zu Südafrika oder Kanada, wo die Menschen via App informiert werden, wann und wo zu gewissen Zeiten kein Strom zur Verfügung steht. «Wir sind nicht so weit davon entfernt.» Robert Itschner zeigte sich etwas optimischter: «Ich habe den Eindruck, dass sich in den letzten beiden Jahren viel getan hat.» Und das bestärke ihn im Glauben, dass es nicht zu einem Worst-Case-Szenario kommen und die Schweiz die Energiewerde schaffen werde. 

Jürg Müller, Direktor von Avenir Suisse, lancierte mit seinem nicht unkritischen Impulsreferat zum Mantelerlass eine Diskussionsrunde zwischen Susanne Vincenz-Stauffacher (Nationalrätin FDP/SG), Delphine Klopfenstein Broggini (Nationalrätin Grüne/GE) und Martin Bäumle (Nationalrat GLP/ZH). Letzterer räumte ein, dass beim Mantelerlass zwar Kompromisse gemacht werden mussten, aber «wir haben auch Neues reingebracht, beispielsweise Power-to-X». Für Delphine Klopfenstein Broggini stellt der Mantelerlass einen ersten Schritt dar, «es ist aber noch ein weiter Weg und es braucht noch konkrete Massnahmen». Susanne Vincenz-Stauffacher gewann dem zustandegekommenen Referendum gegen den Mantelerlass sogar etwas Positives ab: «Das bietet uns erneut zahlreiche Möglichkeiten, landauf, landab auf Podien die Vorteile dieses Stromgesetzes aufzuzeigen.»
 

«Wir sind gut aufgestellt» 

Zwar sei die Energieversorgung nach wie vor angespannt, eine Mangellage könne er aber so gut wie ausschliessen, erklärte Werner Luginbühl, Präsident der ElCom, im Interview mit Barbara Lüthi: «Wir sind gut aufgestellt.» Entsprechend verzichtete er in diesem Jahr auf seinen Aufruf zum Kerzenkauf, mit welchem er am Stromkongress 2023 nachhaltig in die Schlagzeilen geriet. Wie diverse Vorrednerinnen und Vorredner plädierte auch Werner Luginbühl dafür, dass die Energiewende nur gemeinsam zu schaffen sei. Swissgrid-CEO Yves Zumwald erläuterte dem Stromkongress-Publikum, welche Herausforderungen die Dekarbonisierung der Energieproduktion an das Schweizer Übertragungsnetz stellt und wie sich die Swissgrid mit dem «Strategischen Netz 2040» darauf vorbereitet. Wichtig sei jedoch auch eine stärkere Integration in Europa, sprach sich Yves Zumwald implizit für das Zustandekommen eines Stromabkommens mit der EU aus. Kai Schlabitz, Schneider Electric, warf hernach einen Blick aus Herstellersicht auf das Netz der Zukunft. Tuomas Rauhala, Mitglied der Geschäftsleitung von Fingrid, dem Betreiber des finnischen Übertragungsnetzes, ermöglichte den Anwesenden auch noch einen Einblick in die Situation in Finnland. 

Die Energiewende wird nicht ohne Investitionen erfolgen. Daniel Kalt, Chefökonom der UBS, erläuterte daher, welche Investitionen der Umbau des Energiesystem in welchen Bereichen erfordert. Knapp zwei Drittel oder annähernd 8 der rund 13 von ihm veranschlagten Milliarden entfallen dabei auf den Verkehr. Den Rest teilen sich der Gebäude- sowie der Energiesektor und diverse andere Anwendungsbereiche. Damit die Energiewende stattfinden kann, braucht es neben Investitionen ebenfalls Forschung und Innovation. Diese finden vor allem an den technischen Hochschulen ETH und EPFL statt. Yasmine Calisesi, Leiterin des Energy Center an der EPFL, stellte die vielfältigen energiebezogenen Forschungsgebiete vor, welche in Lausanne bearbeitet werden.
 

«New Work», KI und ein optimistischer Ausblick 

Manuel Buchmann warf einen Blick in die demografische Zukunft – und legte dar, wie Unternehmen mit dem sich zuspitzenden Arbeitskräftemangel umgehen können. Ein möglicher Ansatz dafür könnten sogenannte New-Work-Massnahmen sein, die stärker auf den Mensch fokussieren und weit über Home-Office hinausgehen. Benedikt Loepfe, Direktor ewz, gab einen Einblick, wie weit sein Unternehmen bereits auf solche Ansätze setzt. Ein bezüglich New Work eher anspruchsloser Mitarbeiter kommt im ewz bereits zum Einsatz: «ANYmal », ein Inspektionsroboter patrouilliert regelmässig durch ein Unterwerk. Entwickelt hat den Roboter Péter Fankhauser, CEO der Firma ANYbotics. Mascha Kurpicz-Biki, Professorin an der Berner Fachhochschule BFH, stellte ihrerseits Chancen und Risiken von KI-Anwendungen vor, bevor Neurowissenschafter Henning Beck darlegte, warum eine optimistische Herangehensweise auch bei scheinbar unlösbaren Herausforderung der erste Schritt zur Lösung ist.